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Freitag, 11. August 2017

Von Zaren, Frieden und Pancakes


Es ist Mittwoch Abend, vor einigen Minuten wurde ich aus einem recht unruhigen Schlaf aufgeschreckt. Mit dem monotonen Rattern des Reisebusses im Ohr, welcher uns unaufhaltsam Richtung Riga bringt, versuche ich mir mit einer raschen Handbewegung den restlichen Schlaf aus den Augen zu reiben. Während sich mein Reisebegleiter Tim noch in tiefem Schlummer befindet, ergreife ich die Gelegenheit und schnappe mir sein zu unvorsichtig abgelegtes iPad um mich selbst einmal an einem Artikel unserer Reise zu versuchen. Ich habe nämlich beschlossen, für einen Tag vom Mitreisenden zum Autor zu werden und einen Gastbeitrag für Tims Blog zu verfassen. Ob ich mich dafür überhaupt eigne? Ich weiß es nicht, da ich für gewöhnlich keine große Präferenz darauf lege. Dennoch behagt mir die Vorstellung nicht auf unserer Reise nur der stumme Begleiter zu sein. Ob Tim diesen Artikel tatsächlich veröffentlicht? Wir werden sehen...
Nun aber zurück den Ereignissen von gestern. 


Am späten Dienstag Nachmittag verlassen wir unser Schiff im Hafen von Tallinn, immer noch voll mit den Eindrücken unseres kurzen Besuchs in Helsinki. Wir entschließen uns den Weg zurück in die Stadt ohne Hilfsmittel zu bewältigen. Somit gehen wir frei nach den Erinnerungen des Vortags drauf los. Tatsächlich finden wir uns relativ schnell zurecht. Dies mag zum einen daran liegen, dass die Stadt Tallinn, gemessen an der Einwohnerzahl mit nur etwas über 400.000 Einwohnern die kleinste der Städte ist, die wir im Laufe unserer Reise besuchen. Zum anderen ist aber auch der Fußmarsch vom Hafen in die Stadt nicht sonderlich weit und eigentlich wirkt die ganze Innenstadt sehr komprimiert. Nach einem Fußweg von ca. 25 min gelangen wir schließlich an die Hauptstraße, an der das Hostel liegt, in welchem wir die vorige Nacht in Tallinn verbracht haben. Da wir aber für unseren zweiten Besuch etwas neues ausprobieren wollen, lenken wir unsere Schritte ein paar Straßen weiter, wofür wir dann doch schnell von unserer Karte Gebrauch machen müssen. Kurz darauf erreichen wir unser Ziel. Nach einer kleinen Führung durch das Hostel können wir unser Zimmer beziehen. Obwohl uns die Aussicht auf einen entspannten Abend in unseren Betten durchaus zusagt, treiben uns unsere knurrenden Mägen wieder auf die Straßen von Tallinn. Zunächst hatten wir uns jedoch bei unserem Hostel den Tipp für eine Bar, in der es auch etwas zu Essen gibt eingeholt, die wir nun aufsuchen wollen. Nach ca. 15 min zu Fuß erreichen wir die Bar und setzten uns voller Vorfreude an die davor stehenden Tische. Als wir uns die Speisekarte anschauen sind wir beide etwas überrascht, dass diese auch in deutsch abgedruckt wurde. Wirklich verblüfft sieht man uns jedoch, als uns auch die Bedienung auf deutsch anspricht. Voller Schrecken stellen wir fest, dass wir uns keineswegs an den Tischen der besagten Bar befinden, sondern an denen des Schnitzelhauses, an welchen es außerdem nur so von deutschen Touristen wimmelt. Da wir glücklicherweise noch nichts bestellt haben, suchen wir schnell das Weite und begeben uns in die Bar um endlich unser Essen und das ein oder andere kühle Bier zu genießen. Unser Essen ist recht lecker und vong Preis her okay. Grundsätzlich sind wir froh, nach dem doch sehr teuren Tag in Helsinki wieder im moderaten Tallinn zu sein. Dennoch hatten wir zu Beginn unserer Reise noch gedacht, dass die Kosten hier noch niedriger wären. Die Preise liegen in der Innenstadt von Tallinn nur leicht unter denen in Deutschland. Im Anschluss an das Essen machen wir uns auf den Rückweg zum Hostel, da uns auch morgen ein vollgepackter Tag erwartet.


Am nächsten Morgen wachen wir voller Tatendrang bereits um ca. 08:00 Uhr auf, da wir für 10:00 Uhr eine kostenlose Stadt Tour gebucht haben. Nach einem schnellen Kaffee und einer erfrischenden Dusche stellen wir jedoch fest, dass die von uns gebuchte Tour erst um 12:00 Uhr stattfindet. Wir nutzen die gewonnene Zeit und relaxen noch ein wenig. Gegen 10:45 Uhr verlassen wir unser Hostel mitsamt unseren schweren Rucksäcken und begeben uns auf die Suche nach einem Platz zum frühstücken. Bereits von mehreren Seiten wurde uns hierfür ein Restaurant bzw. Café vorgeschlagen, in welchem es sowohl sehr gute, als auch sehr günstige pancakes geben soll. Als wir uns jedoch an der entsprechenden Straßenecke einfinden, können wir nichts von einem Restaurant oder Café erkennen. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch schauen wir uns an. Bei unserem letzten Besuch in Tallinn hatte sich bereits ein vermeintlicher Geheimtipp als nicht existent herausgestellt.
Wir wollen schon um die nächste Ecke laufen, als uns ein kleines Schild ins Auge sticht. Es stellt sich heraus, dass das "Kompressor" erst um 11:00 Uhr sein Pforten öffnet. Nach etwa 5 min Wartezeit werden wir schließlich hereingebeten. Inzwischen sind wir auch nicht mehr die einzigen Gäste, die vor der Tür gewartet haben. Offenbar sind die pancakes tatsächlich sehr beliebt. Das innere des Gebäudes gleicht eher einer Bar als einem Café, welches wir eigentlich erwartet haben. Kurz darauf sitzen wir vor unseren leckeren pancakes und unserem ebenso guten Kaffee. Wir werden beide komplett satt und freuen uns über das tolle Preis-Leistungsverhältniss.



Gerade noch rechtzeitig treffen wir bei der geplanten Tour in der Altstadt ein. Ein junge Frau erzählt uns zunächst etwas über die Geschichte Estlands. Sie berichtet uns das Estland nach langer Zeit unter schwedischer und vor allem russischer Herrschaft seine Unabhängigkeit bereits 1918 erlangte, als Sowjetrussland im Rahmen des ersten Weltkriegs seine Truppen aus Estland abzog. Unglücklicherweise hielt diese neu gewonnene Freiheit nicht sehr lange, denn nur einen Tag später traf die 8. Deutsche Armee in Estland ein und besetzte das Land. Deutlich stolzer erzählt sie uns vom so genannten Freiheitskrieg oder Unabhängigkeitskrieg, dem einzigen Krieg den die Estländer je gewinnen konnten. Mit der Unterstützung von Großbritannien und Frankreich gelang es die rote Armee zurück zu drängen, woraufhin Sowjetrussland im Jahr 1920 die Unabhängigkeit von Estland auf alle Zeiten anerkannte.


Der nächste Stopp auf unser Stadttour ist der Friedensplatz welcher aufgrund der verschiedenen Machtverhältnisse in der Vergangenheit bereits reichliche Namensänderungen erfahren hat. Zunächst wurde der Platz in Anlehnung an den russischen Zaren "Peter der Große" Petersplatz genannt. Nach der Gründung der estnischen Republik erhielt er seinen Namen Friedensplatz. Dieser wurde im Jahre 1940 von der Sowjetunion in Platz des Sieges umbenannt und erst im Jahr 1991 wurde er ihm erneut der Name Friedensplatz verliehen.



Das interessanteste am Friedensplatz ist aber tatsächlich das Denkmal für den Unabhängigkeitskrieg, welches im Jahre 2009 erbaut wurde. Dieses Denkmal sorgte bereits im Vorfeld für Diskussionen unter der Bevölkerung, da das Denkmal zum einen wesentlich mehr Geld kostete, als ursprünglich veranschlagt worden war und zum anderen auch das Design an sich sehr in der Kritik stand. Unsere Tourführerinn teilte uns mit, dass das Monument sogar einem Atomschlag stand halten sollte, jedoch hatten die Erbauer wohl nicht mit Wind und Regen gerechnet, da sich in der Vergangenheit schon eine Platte gelöst hatte und heruntergefallen war. Auch mit der Beleuchtung ergaben sich am Anfang laut unserer Führerinn einige Probleme. Zunächst schien diese gar nicht zu funktionieren und im späteren Verlauf erstrahlte das Monument dann in knalligem Pink. Nun sind aber alle Fehler behoben und das Denkmal zeigt in seiner voller Pracht. Unsere Tour endet an einem Aussichtspunkt mit einem wunderschönen Ausblick auf die Stadt Tallinn.



Da uns mittlerweile beiden die Füße weh tun, beschließen wir bei einem Eis in einem kleinen Café zu verweilen. Nach etwa einer Stunde machen wir uns auf den Weg zum Busbahnhof in Tallinn, da wir dort in einen Bus steigen wollen, der uns zu unserem nächsten Ziel in die Stadt Riga bringen wird. Als wir den Bus erreichen sind wir wirklich müde und erschöpft und zum Glück können wir auch relativ schnell einsteigen. Im Bus selbst haben wir erstaunlich viel Platz und können unsere geschunden Füße ein wenig ausstrecken. Als der Bus losfährt, merke ich schnell wie mich die Müdigkeit überkommt und ich in einen unruhigen Schlaf sinke.

Ich tippe gerade die letzten Zeilen für diesen Artikel, als sich mein Sitznachbar langsam regt. Das regelmäßige Schnarchen der letzten Stunden ist verstummt und ich bemerke wie seine Augenlieder flattern. Schnell versuche ich noch ein paar letzte Kommata zu setzen und lege ihm im Anschluss, auf seine Reaktion gespannt, sein iPad zurück in seinen Schoß.

Tagesschritte: 15.322



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